Sprachfähig werden, konservativ sein im stetigen Wandel - Ein Widerspruch?
"Konservativ," das ist einer der schwammigen Begriffe in unserer Zeit. Und weil der Begriff so schwammig ist, lässt er sich trefflich nutzen, wenn man die CDU als eine Partei hinstellen will, die an überkommenen Traditionen festhält. Wie viele politische Mitbewerber wollen sich nicht von uns abgrenzen, indem sie sich als "progressiv" darstellen? Das ist eigentlich verwunderlich, denn wer "konservativ" und "progressiv" als Gegensätze sieht, der übersieht, dass das Progressive ohne den Orientierungspunkt des Konservativen ein Fortschritt ohne Ziel ist.
"Konservativ," das hat etwas mit dem lateinischen Wort "conservare," bewahren zu tun.
Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass es so Einiges gibt, dass wir unbedingt bewahren wollen: Die Menschenwürde, die Demokratie, die Solidarität – das Einstehen füreinander. Und konservativ ist auch unser Verständnis der persönlichen Freiheit, die wir unbedingt bejahen, die wir uns aber nur im Zusammenhang mit der persönlichen Verantwortung vorstellen können, denn nur wo beide, Freiheit UND Verantwortung zusammenkommen, wird auch die Mündigkeit des Menschen bejaht. Ja, "konservativ" zu sein heißt auch, den Unterschied zwischen "Freiheit" und "Beliebigkeit" sehr deutlich zu sehen! Darum wird sich die Verantwortung für das eigene Entscheiden und Tun nie durch Staatshandeln ersetzen lassen. Jeder, der ein Haus hat, wird sofort verstehen, dass das Bewahren sehr viel Arbeit macht. Unser Wert, das Haus, bleibt erhalten, aber zumindest unser Haus wäre, wenn wir nicht vieles verändert, verbessert, repariert, verschönert hätten, inzwischen unbewohnbar. Und das ist für mich wohl das beste Zeichen dafür, dass "konservativ" nicht mit "erstarrt," "beharrend" gleichgesetzt werden kann.
Ich mache einmal ganz unverfroren Anleihen bei unserem politischen Mitbewerber, der SPD. Die SPD hat sich 1959 den Satz "Der Sozialismus ist eine dauernde Aufgabe" ins Godesberger Programm geschrieben. Ja tatsächlich: Was immer wir auch anstreben, unser Menschenwerk ist niemals vollendet, und darum ist auch das Konservative, die Bewahrung unserer wichtigsten Werte, eine dauernde und oft auch anstrengende Aufgabe. Aber es lohnt sich, an dieser Aufgabe zu arbeiten! Wer z. B. darüber nachdenkt, wie dramatisch sich die Situation der Frauen seit der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland verbessert hat, wird sofort sehen, dass die skandalöse Ehegesetzgebung der frühen Bundesrepublik überwunden werden musste. Konservativ ist das Streben nach einem partnerschaftlichen und verlässlichen Verhältnis aller Lebensgemeinschaften unabhängig von ihrer geschlechtlichen Orientierung; Aufgabe ist es, Partnerschaft und Verlässlichkeit im Licht der Zeit und der Situation zum Tragen zu bringen, in der wir stehen.
Ohne einen so verstandenen Konservatismus schwebt der Zeitgeist wie eine Seifenblase orientierungslos im Raum. Er treibt im leisesten Luftzug und bei der kleinsten Störung platzt er.